Es macht einen großen Unterschied, ob Esperantisten die sprachliche Ordnung der heutigen Welt mit dem Argument angreifen, dass:
Diskurse der ersten Art stellen vor allem das Weltsystem in den Vordergrund, ein System, dessen Verteilung des Reichtums und der politischen Macht ebenso grob ungleich ist wie seine kulturellen und sprachlichen Hierarchien steil sind. Diskurse der zweiten Art analysieren den Kulturaustausch und die sprachliche Ordnung der Welt mit Kategorien, die in ihrem Wesen nationalistisch sind. Solchen Analysen zufolge liegt das Problematische nicht so sehr in der Ungleichheit wie in der Konvergenz, d. h. im Verlust der Unterschiede unter den ethnischen/nationalen Kulturen (die sie gewöhnlich übermäßig vereinfachend als "die" Kulturen bezeichnen). Sie behandeln die individuelle Identität, ein in Wirklichkeit sehr vielseitiges und dynamisches Gebilde, so, als bilde die Ethnizität oder Nationalität ihren Kern und als könne sie in die Krise geraten (sog. "Identitätsverlust"), wenn das Individuum einem Übermaß an fremden ethnischen Einflüssen erliegt.
Mixophobie (nach P.-A. Taguieff [2] "Abscheu vor Mischungen unter Menschengruppen, der Ausdruck einer fixen Idee von Verunreinigung ist, genauer gesagt, vom Verlust der identitären Reinheit des Stammes") ist ein Wort, das das Verhältnis von Gados und anderen Sprachnationalisten zum Phänomen der lexikalischen Entlehnung gut beschreibt. Sie ist auch das Kettenglied historischer Kontinuität, das den Rassismus alten Zuschnitts mit der modernen "neurechten" Ideologie des Differentialismus bzw. Ethnopluralismus unmittelbar verbindet. Die alte mixophobe Besessenheit von der biologischen Rassenvermischung ist mit dem weiterhin aktuellen Angstbild der Vermischung und Konvergenz ethnischer Kulturen erkennbar artverwandt. Zum Thema der "Beziehungen zwischen Rassismus und Nationalismus" spricht Eric Hobsbawm [3] von der "offensichtlichen Analogie zwischen dem Bestehen der Rassisten auf die Wichtigkeit der rassischen Reinheit und die Schrecken der Mischlingszeugung, und dem Bestehen vieler – man ist versucht, zu sagen: der meisten – Formen von Sprachnationalismus auf die Notwendigkeit, die Nationalsprache von fremden Bestandteilen zu säubern". Aber ist die Analogie auch denjenigen Esperantisten offensichtlich, die die neurechts beeinflussten Theorien über "Glottophagie" (d. h. "sprachliche Aufzehrung") und deren Verhinderung durch Esperanto unbedingt Glauben schenken wollen, weil man ihnen die Idee aufgeschwätzt hat, dass ihre Popularisierung die letzte Siegeschance der Sprache sei? Solche Theorien sind seit Jahren in Umlauf, und Gados scheint sie durch die Hypothese zu ergänzen, dass der "Schaden", der einer ethnischen Sprache durch die Aufnahme fremden lexikalischen Sprachguts zugefügt wird, darin bestehe, dass ihre Fähigkeit abnimmt, die "muttersprachliche Rolle" zu erfüllen. Vermutlich besteht diese Rolle darin, aufeinander folgenden Generationen die jeweils für sie vorbestimmte "Identität" zu vermitteln, obwohl Gados an dieser Stelle mit Erläuterungen geizt.
Globalisierung als Kulturbedrohung
In seinen Ausführungen über die Globalisierung macht sich der Verfasser die nationalistische Vorstellung von den reichen Kosmopoliten zu eigen, die sich als Feinde der Nationen betätigen. Wo früher die Kosmopoliten oft in den Juden und Freimaurern ausgemacht wurden, treten sie heute meist als Vorstandsmitglieder multinationaler Konzerne in Erscheinung. Der These von Gados zufolge ist es letztere Gruppe, eine kleine Wirtschaftselite, die die Vernichtung der Kulturvielfalt der Menschheit vorantreibt, weil die Vielfalt dem weltweiten Absatz ihrer Waren eine Schranke setze. "Sie folgen ihren Interessen. Für sie wäre es vorteilhaft, wenn die Welt einfarbiger, wenn sie einsprachig würde. Dem stehen jedoch die Interessen jener Völker, die ihr sprachliches und kulturelles Erbe bewahren wollen, entgegen. Haben sie nicht das gleiche Recht, ihren eigenen Interessen zu folgen?" Diese Sätze zusammen mit der letzten rhetorischen Frage sollen andeuten, dass die "Völker" (a) zusammenhängende Gruppen mit einheitlichem Willen seien, und (b) aktiv daran gehindert würden, wenn nicht gar außerstande gesetzt worden seien, ihr Erbe zu bewahren, ihre Identität zu bestimmen usw. Mit solchen Thesen dringen sog. Neurechte an einigen Orten mit Erfolg in globaliserungskritische Bewegungen ein – wenn auch nicht überall, zum Glück, da die Bewegungen vielerorts schon ahnen, mit wem sie es da zu tun haben.
Die unbewiesene Behauptung, dass Esperanto Muttersprachen nicht zu "gefährden" vermöge
Gados behauptet wiederholt, dass Esperanto keine "Muttersprache" derart gefährden könne, wie Englisch das tut. Die Politiker müssten bereit sein, "die Anwendung einer nicht volksgebundenen, so genannten Plansprache in der Rolle einer gemeinsamen Sprache zu prüfen. Dabei würden sie feststellen, dass sie praktisch neutral ist, ihre Anwendung also keine Sprache in der Rolle einer Muttersprache gefährden würde". Leider ist er nicht bemüht, diese mehrmals aufgestellte Behauptung mit überzeugenden Argumenten zu untermauern.
Es wird zunächst während der Lektüre nicht klar, weshalb eine Nationalsprache die "Rolle als Muttersprache" in einem geringeren Maß erfülle, wenn Englisch sich weltweit ausbreitet, obwohl der Leser ahnen kann, dass das wohl mit dem "Schaden" zusammenhängt, der durch die lexikalische Entlehnung aus dem Englischen entsteht. Soll das heißen, dass ein Kleinkind keine Muttersprache erwürbe, wenn es unter Menschen aufwächst, deren Sprache von Anglizismen durchsetzt ist? Oder bekommt es dadurch nicht die "richtige" Identität? Wenn die lexikalische Entlehnung das wirkliche Problem ist, dann stellt sich eine zweite Frage: was soll verhindern, dass Esperanto, sollte es einmal als neutrale gemeinsame Sprache Europas eingeführt werden, nicht auch zu einer Quelle "schädigenden" Lehnguts würde? Ist etwa die Tatsache, dass es nicht ethnisch, oder dass es geplant und neutral ist, ein Hemmfaktor gegen Entlehnung aus ihm? Wir wissen doch aus eigener Erfahrung das Gegenteil: einige Esperantisten, wenn sie unter sich sind und ihre Landessprache statt Esperanto sprechen, würzen ihre Sprache mit Esperantismen in keiner geringeren Zahl, als modebesessene Anglomanen Anglizismen von sich geben!
Die Bearbeiter der deutschen Ausgabe dieses Textes räumen die hier kritisierte Tendenz des Werkes indirekt ein. Ulrich Matthias [4], der zusammen mit Frank Stocker die deutsche Ausgabe bearbeitete, stellt fest, dass diese Ausgabe keine einfache deutsche Übersetzung, sondern ein stellenweise inhaltlich revidiertes Werk ist. Es habe gegolten, "zu verhindern, dass Leser die Broschüre für nationalistisch halten".
Wenn ich die Wahl zwischen der Perspektive einer Welt hätte, die Esperanto aus einer im Ethnopluralismus fußenden Überzeugung heraus einführen würde, und der einer Welt, die sich weiter auf sprachpolitischen Irrwegen treiben ließe, ohne dabei in dem ethnopluralistischen Sumpf zu landen, würde ich nicht zögern, die zweite Alternative zu wählen. Allerdings droht die erstgenannte Perspektive gar nicht, weil derartige Argumentation gut zerpflückt werden kann. Dieses Werk ist vor allem geeignet, die fortschreitende Übernahme eines gewissen neurechten, nationalistischen Ideenguts durch Esperantisten zu dokumentieren, aber nicht, um Leser, die diesem Ideengut nicht besonders geneigt sind, davon zu überzeugen, dass Esperanto Beachtung verdient.
[1] bzw. in Deutschland das Deutsche Esperanto-Institut, das mit dem Deutschen Esperanto-Bund (DEB, Landesverband von UEA) verbunden ist [zurück]
[2] P.-A. Taguieff: Le racisme, Paris 1997 [zurück]
[3] E. J. Hobsbawm: Nations and Nationalism since 1780, Cambridge 1990 [zurück]
[4] in Esperanto aktuell [Organ des Deutschen Esperanto-Bundes DEB], 4/2001 [zurück]