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G. Mickle: La patrina lakto kaj la tero
Eŭgeno Lanti: Manifesto de la Sennaciistoj
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Zuletzt geändert
2017-07-21
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Gary Mickle:

Kann Esperanto die "kulturelle Vielfalt" retten?

In den 70er Jahren kam es zu einer Verschiebung der politischen Schwerpunkte der Esperanto-Bewegung (bzw. der Esperanto-Gemeinschaft, um den moderneren Begriff zu bevorzugen). Es wurde, allgemein ausgedrückt, ihr gut etabliertes friedenspolitische Motiv durch ein neues ersetzt: das der Bewahrung ethnischer Kulturen, ethnischer Sprachen und ethnischer Identitäten. Etwas, was "Ethnismus" heißt, machte Furore unter Esperantosprechenden.

Im Grunde genommen war die eine etwas übertriebene Idee – wonach eine gemeinsame Sprache eines der wichtigsten Instrumente zur Befriedung der Welt sein könne – durch eine völlig haltlose ersetzt worden. Jetzt wurde behauptet, dass eine neutrale gemeinsame Sprache nach ihrer weltweiten Einführung notwendigerweise ein gutartiges Verhältnis zu ethnischen Kulturen und Sprachen hätte. Sie würde diesen weder schaden noch sie gar beseitigen, wie Englisch und andere mächtige Sprachen es tun. Wieso machte sich diese Idee breit?

Das hat zweierlei Gründe:

  • Das Friedensmotiv hatte seine Glaubwürdigkeit als Rechtfertigung für die weltweite Einführung des Esperanto verloren. Zu Zeiten des kalten Krieges, bzw. in den 60er Jahren des Vietnamkrieges, schien die Ursache militärischer Auseinandersetzungen eher im Ideologischen als im früher angenommenen Völkerhatz zu liegen.
  • Teile der Esperanto-Bewegung, besonders der Weltverband der Jungen Esperantisten (TEJO), waren für eine Idee empfänglich, die sie vor ihren rebellierenden Altersgenossen etwas radikaler erscheinen ließen, ohne dabei allzu viel Streit in TEJO selbst zu erzeugen. Dazu war ethnischer Nationalismus gut. Seine politischen Inhalte konnten Linksgerichteten mit "antiimperialistischen" und Rechtsgerichteten mit konservativen und traditionsbetonenden Begriffen vermittelt werden.

Deshalb hat sich TEJO ab 1968 auf das Konzept festgelegt, Esperanto als Kampfmittel gegen "Kulturimperialismus" und "Sprachimperialismus" an den Mann zu bringen. Das war das Jahr, als der Esperanto-Jugendkongress in Tyresö, Schweden eine bekannte Resolution über genau diese Themen verabschiedete, die Deklaration von Tyresö. Etwa ein Jahrzehnt dauerte es, bis diese Ideen auch in der allgemeinen Esperanto-Bewegung Eingang fanden, d.h. im Esperanto-Weltbund (UEA) und in einem geringeren Maß sogar im Anationalen Weltbund (SAT) der stärker nach links neigt.

Einige Hypothesen wurden bisher aufgestellt, die erklären sollen, wie Esperanto die Kulturvielfalt (die übermäßig vereinfachend mit ethnischer Kulturvielfalt gleichgesetzt wird), die ethnischen Kulturen und die gefährdeten Sprachen bewahren helfen soll. Alle beziehen sich auf Wirkungen, die nach seiner allgemeinen Einführung als "zweite Sprache für alle" angeblich einträten.

Guy Héraud: Esperanto und die ethnoföderale neue Ordnung

Einer der ersten, die diese Idee popularisiert hat, wenigstens in der Nachkriegszeit, war ein Nicht-Esperantist, der zu jungen Esperantisten um 1970 Kontakt aufnahm – gerade als diese dabei waren, den mit der Deklaration von Tyresö. eingeschlagenen Kurs zu festigen. Er war Guy Héraud, ein französischer Professor der Rechtswissenschaften und einer der bedeutendsten Befürworter des ethnischen Föderalismus, eines Ablegers der Doktrin, die "Ethnismus" heißt und eine Art Kleinvölker-Nationalismus darstellt. Héraud war auch Anhänger der neuen Rechten und Mitglied der neurechten Denkfabrik GRECE, die von Alain de Benoist gegründet worden war. Die neue Rechte verwendet häufig die Taktik, Linke mit Anhängern der nichttraditionellen Rechte und ihren Ideen zusammenzubringen. Es war also gar nicht untypisch für neurechte Politik, dass er Kontakt zu jungen Esperantisten suchte, trotz der linken politischen Ausrichtung der meisten von ihnen.

Héraud schrieb einen seinerzeit von vielen Esperantisten gelesenen Artikel [1] in dem er die Idee darstellte, Esperanto als allgemeine zweite Sprache innerhalb einer nach den Grundsätzen des ethnischen Föderalismus umgemodelten europäischen Gemeinschaft, einzuführen, d.h. in einer Föderation, in der die ethnischen Minderheiten zu kollektiven Besitzern ihrer eigenen monoethnischen und kulturell eigenständigen Gebieten würden, die allerdings bundesstaatlich zusammengefasst und somit nicht völlig autonom wären. Er beteuerte, dass die allgemeine Einführung des Esperanto unter solchen Umständen den kleinen Volksgruppen erlauben würde, schneller die großen Nationalsprachen abzulegen, die sie heute gezwungenermaßen gebrauchen und die ihre besondere Identität bedrohen (etwa Deutsch bei den Sorben oder Französisch bei den Bretonen).

Es handelt sich nicht um eine völlig unrealistische Einschätzung, aber nur unter der Annahme, dass a) eine ethnoföderale neue Ordnung erreicht worden wäre, b) Esperanto eingeführt würde, und c) den Einwohnern der neuen ethnischen föderalen Einheiten genug nationalistische Begeisterung eingebleut werden könnte, dass sie sich völlig von ihren ehemaligen "Unterdrückersprachen" befreien wollen würden. Wie dem auch sei, viele Esperantisten versteiften sich auf die Idee, dass Esperanto die kleinen Volksgruppen und ihre Sprachen bewahren helfen sollte. Sie machten sich nicht die Mühe, die innewohnende Logik des Vorschlags zu begutachten, die auf ethnischem Föderalismus und dessen nationalistischen Annahmen über Menschen, Gemeinschaften und Identitäten beruht.

Andrea Chiti-Batelli: Esperanto als moderne Entsprechung des mittelalterlichen Lateins

Bereits in den 80er Jahren hatten Esperantisten die Bewahrung kleiner Volksgruppen und traditioneller Identitäten zu einem festen Bestandteil ihrer üblichen Werbebotschaft für die Einführung des Esperanto gemacht, obwohl sie den ethnischen Föderalismus meist unerwähnt ließen. Um diese Zeit trat Andrea Chiti-Batelli, ein ehemaliger Mitarbeiter im Stab des italienischen Senats und ein persönlicher Freund Hérauds, in Erscheinung. Chiti-Batelli, wie Héraud, begann sich mit Esperanto zu beschäftigen, ohne je Esperantist im vollen Sinne zu werden, d.h. einer, der die Sprache aktiv gebraucht. Er beherrscht die Sprache allerdings in einem ausreichenden Maß passiv, um sich mit der Esperanto-Bewegung und ihrer Politik befassen zu können. Seit Jahren kommentiert er ihre Strategie in einer Vielzahl von Schriften, die häufig die Vorstellung betonen, dass Englisch eine Sprache weltweiter "Glottophagie" (des Sprachen-Aufzehrens) und "Ethnolyse" (der Auflösung von Ethnien) geworden ist. Dieser Sachverhalt wird als Kulturkatastrophe dargestellt, die nur durch den Gebrauch einer neutralen und nichtethnischen Sprache für die internationale Kommunikation – natürlich Esperanto – abgewendet werden kann.

Chiti-Batelli liefert keine so stichhaltige Erklärung wie Héraud, warum die von ihm erwarteten heilsamen Wirkungen aus der Einführung des Esperanto eintreten würden. Er hat allerdings eine enthüllende Bemerkung gemacht, die ersichtlich macht, warum Esperanto seiner Meinung nach nie imstande wäre, eine andere Sprache aufzuzehren. Er glaubt nämlich, dass dem Esperanto als Hilfssprache die "zerstörerische Fähigkeit" fehlt, die dem Englischen eigen ist, weil Esperanto "tot" sei (wobei er das Wort "tot" in Anführungszeichen gebraucht), d.h. "niemandes häusliche Sprache und eine Sprache, die nicht das kulturelle und politische Gewicht eines Volkes oder eines Staates hinter sich hat" [2]. Er vergleicht das so zu gebrauchende Esperanto mit dem einst so gebrauchten mittelalterlichen Latein, das in ähnlicher Weise "tot" war, obwohl es noch als internationale Sprache funktionierte. Das mittelalterliche Latein, bemerkt er weiter, verhinderte in keiner Weise das Aufblühen der europäischen Volkssprachen und ihre Weiterentwicklung zu modernen Nationalsprachen.

Die Vorstellung, dass Esperanto nach allgemeiner Einführung mit dem mittelalterlichen Latein vergleichbar wäre, ist nicht plausibel. Erstens ist Esperanto sogar heute mit seinem begrenzten Benutzerkreis alles andere als "tot", und wenn ein Anderer als Chiti-Batelli es als "tote" Sprache bezeichnet, verwahren sich die Esperantisten gegen solchen Unbill. In der Tat ist es eine lebende Sprache, die sich spontan durch den Gebrauch entwickelt. Esperantosprechende gründen oft Familien, in denen das Esperanto zur Muttersprache ihrer Kinder wird. Der Gebrauch des Esperanto als Muttersprache würde sich zu einer gesellschaftlichen Erscheinung von erheblichem Umfang entwickeln, wenn der hypothetische Fall ihrer Annahme als allgemeine Zweitsprache der europäischen Massen einträte. Zweitens unterscheidet sich das Europa des 21. Jahrhunderts "ein bisschen" vom mittelalterlichen Europa, wobei Europa der Kontinent ist, für den sich Chiti-Batelli interessiert. Würden die Massen Esperanto anwenden, und nicht nur eine kleine Elite wie beim Latein des Mittelalters der Fall war, und geschähe das in einer Gesellschaft, die Massenmedien, sofortige elektronische Kommunikation usw. hat, dann müsste Esperanto das Englische zwangläufig schnell überflügeln, was den Umfang seiner Anwendung betrifft. Drittens: wenn Esperanto wirklich die jetzigen Funktionen des Englischen in Europa übernähme, so würde es bald die vorherrschende Sprache der Europäischen Union und der in Europa tätigen multinationalen Konzerne. Mit anderen Worten, es hätte bald ein genau so großes, wenn nicht größeres "kulturelles und politisches Gewicht" als jetzt Englisch.

Helmar Frank: Die "propädeutische Wirkung"

Helmar Frank, Professor der kybernetischen Pädagogik an der Universität Paderborn, hat eine längere Denkschrift über die Zukunft der Europäischen Union geschrieben, Europa so – oder besser?, deren Inhalt zu einem erheblichen Teil ein Plädoyer für die Annahme des Esperanto (die er seiner Eigenart entsprechend durchgängig als "ILo" bezeichnet) als Europasprache ist. Frank beteuert, dass "ILo" niemals das würde, was er und andere als "Killersprache" bezeichnen - eine, die andere Sprachen gänzlich ersetzt oder durch die Einführung fremder lexikalischer Bestandteile unterwandert. Beim wackeren Versuch, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, betont er das Schulwesen, die Gesetzgebung, die es regelt, und die Auswirkungen des öffentlichen Schulwesens auf die Gesellschaft als Ganzes. Frank zitiert experimentell gewonnene Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass das Lernen von Esperanto in einem frühen Alter einen großen motivierenden und propädeutischen Nutzen für Schüler hat, die anschließend andere, schwerer anzueignende Fremdsprachen lernen. Dementsprechend sagt er optimistisch das Aufkommen einer universell polyglotten Gesellschaft in Europa voraus – ein Ziel, das ohne Ausdehnung der für den Fremdsprachenunterricht vorgesehenen Zeit erreicht werden soll. Eine polyglotte Gesellschaft wäre Frank zufolge der Sache des Sprachschutzes wohlgesonnen.

Frank unterstützt sein Argument durch Betonung der Wichtigkeit eines sprachenrechtlichen Systems, das das Primat der Nationalsprachen im Bildungssystem ihrer jeweiligen Geltungsgebiete gewährleistet. Wie Héraud erwartet er, dass Esperanto seinen Nutzen innerhalb eines geeigneten rechtlichen Rahmens entfalten würde.

Franks Argumente betonen die gesellschaftlichen Auswirkungen des schulischen Sprachenlernens. Aber wenn dem Esperanto eine so außerordentlich große propädeutische und motivierende Wirksamkeit als Erleichterungsfaktor späteren Sprachenlernens zugeschrieben wird, drängt sich eine Frage auf: warum sind ähnliche Lernerleichterungswirkungen, die auf die sprachliche Nähe einiger Nationalsprachen zu anderen beruhen, nicht schon beobachtet und systematisch ausgenutzt worden, wenn die Wirkungen tatsächlich so gewaltig sind? Portugiesisch und Spanisch, oder Niederländisch und Deutsch sind solche Paare eng verwandter Sprachen, die im jeweils anderen Gebiet als "propädeutische" Einführung in das Sprachenlernen verwendet werden könnten, wenn diese Hypothese zuträfe.

Ein weiterer Vorbehalt ist die Tatsache, dass die Erlernung des Esperanto selbst keineswegs ein Kinderspiel ist, was das recht unterschiedliche Niveau der Sprachkenntnisse unter den heutigen Esperantosprechenden belegt. Esperanto ist zwar um ein Mehrfaches leichter zu lernen als Englisch, aber das bedeutet immer noch, dass einige Jahre Schulunterricht erforderlich wären, um Sprachkenntnisse zu vermitteln, die denen der Muttersprache annähernd gleichwertig sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Esperantounterricht den größten Teil der Zeit in Anspruch nehmen, die heute für Englisch in den Ländern aufgewendet wird, in denen es die erste Fremdsprache ist, wenngleich das Endergebnis bei Esperanto viel zufriedenstellender wäre. Frank überschätzt bestimmt die Zeit, die in einer typischen Schulumgebung für das Erlernen anderer Sprachen verbliebe.

Es ist anzumerken, dass Frank hauptsächlich hypothetische Nutzen behandelt, die den Nationalsprachen und den größeren Minderheitensprachen zugute kämen. Frank sympathisiert mit dem ethnischen Föderalismus. Er will jedoch nicht glauben machen, dass Esperanto allein die kleinen Sprachen, die dem Aussterben bereits nahe sind, "retten" könne, aber er fordert die Einrichtung von "Kulturschutzgebieten" für Gruppen wie die Sorben in Deutschland, die zu klein sind, um eigene Staaten zu gründen.

Die Ökonomie des Sprachenlernens

Wiederholt kommen Argumente für Esperanto vor, die Berechnungen über die Zeit enthalten, die zur Erlangung eines bestimmten Kenntnisstandes in verschiedenen Sprachen notwendig sei. Häufig wird angenommen, dass die Zeit, die durch das Lernen von Esperanto statt Englisch eingespart würde, dem Streben nach größerer Vollkommenheit in der Muttersprache des Lernenden umgewidmet würde. Das ist ein Teil von Helmar Franks Argumentation.

2000 h = 200 h + 1800 hEin graphisches Beispiel einer solchen Zeitrechnung wurde von jemandem geliefert, der bei Eŭropa Bunto, engagiert war, einer Gruppe, die eine Demonstration von sowohl Esperantisten wie "Sprachschützern" zugunsten der Sprachenvielfalt, der Verteidigung "bedrohter Wurzel", ethnischer Identitäten und ähnliches vorbereitet hat. Sie fand in Straßburg am 9. 5. 2004 statt. Diese Losung lautet: "Englischer Monolith oder Esperanto-Regenbogen? Eine schwere Sprache kann die Vielfalt nicht schützen!". Sie wird von einer Zeitrechnung begleitet, die 2000 Stunden Englischlernen auf der einen Seite 200 Stunden Esperantolernen plus 1800 Stunden "vielfältigen" Sprachenlernens auf der anderen Seite gegenüberstellt. Es wird unterstellt, dass 200 Stunden Esperantounterricht Ergebnisse zeitige, die denen von 2000 Stunden Englischunterricht gleichwertig sind. Es handelt sich um etwas, was wahrscheinlich die meisten Esperantisten für eine Übertreibung halten würden.

Aber das größte Problem bei solchen Quantifizierungen ist die Annahme, dass die Zeit, die Menschen durch das Lernen von Esperanto statt Englisch einsparen, in irgendeinem realistisch anzunehmenden Gesellschaftszusammenhang entsprechend dem Wunschdenken derer verwendet würde, die die Zeitrechnungen aufstellen, d.h. für das Studium ethnischer Sprachen, besonders der vom Aussterben bedrohten. Wirkliche junge Menschen würden die eingesparte Zeit für alle möglichen Aktivitäten verwenden, jedoch sehr, sehr selten für das von den Freunden der Sprachenvielfalt empfohlene Sprachlernprogramm, es sei denn, sie würden dazu gezwungen. Und würden die "politisch richtigen" Sprachen als schulische Pflichtfächer unterrichtet, so würden die Ergebnisse kaum den Erwartungen der Befürworter genügen. Die Erfahrung zeigt, dass Sprachen, die in der Schule zwangsweise gelernt werden, nach dem Schulabgang schnell vergessen werden, es sei denn, sie werden im wirklichen Leben benötigt.

Trotzdem gehören solche Argumente, die auf die Ökonomie des Sprachenlernens bezogen sind, zu den am häufigsten vorgebrachten, wenn erklärt werden soll, wie die weltweite Einführung des Esperanto das allmähliche Verschwinden von weniger gebrauchten Sprachen verlangsamen soll.

Ist Esperanto frei von kulturellen Auswirkungen?

Ab und zu wird ausgesagt oder angedeutet, dass die "ethnische Neutralität" – eine Eigenschaft, die Esperanto zweifellos besitzt – die Abwesenheit von "schädlichem" kulturellem Einfluss auf ethnische Kulturen oder ethnische Sprachen bedeutet. Neulich wurde eine Broschüre, Allen Sprachen eine Zukunft [3], in mehreren Sprachen durch Esperantisten veröffentlicht, die das Europäische Jahr der Sprachen zur Popularisierung des Esperanto nutzen wollten. Einige von ihnen wollten seine angebliche potentielle Schutzwirkung auf ethnische Sprachen thematisieren. Diese Sprachen sollten vor dem "Schaden" bewahrt werden, der durch lexikalische Importe aus dem Englischen verursacht werde. Der hier besprochene "Schaden" ist natürlich nicht der Zusammenbruch der Sprache als solche, sondern "Identitätsverlust" bei ihren muttersprachlichen Anwendern, ein großes Schreckgespenst in den Augen ethnischer Nationalisten. Der Verfasser, László Gados, wiederholt an mehreren Stellen, dass Esperanto gar nicht imstande sei, "Muttersprachen" so in Gefahr zu bringen wie Englisch das tut. Er appelliert an die Politiker, "die Anwendung einer nicht volksgebundenen, so genannten Plansprache in der Rolle einer gemeinsamen Sprache zu prüfen. Dabei würden sie feststellen, dass sie praktisch neutral ist, ihre Anwendung also keine Sprache in der Rolle einer Muttersprache gefährden würde."

Zunächst ist die Unterscheidung zwischen "Muttersprachen" und Esperanto etwas künstlich, da Esperanto selbst eine der Muttersprachen von einigen seiner Anwender ist, während einige der sogenannten "Muttersprachen" ausgesprochen viele nicht-muttersprachliche regelmäßige Anwender haben. In diesem Fall wie in anderen werden keine überzeugenden Argumente angeführt, um die Behauptung zu belegen, dass Esperanto kulturell wirkungslos sei, während das auf das Englische bzw. andere Sprachen nicht zutreffe. Was würde Esperanto eigentlich daran hindern – wenn es tatsächlich als neutrale gemeinsame Sprache Europas eingeführt würde – auch ein Quelle von "schädigendem" lexikalischem Gut zu werden, das in ethnische Sprachen eindringt? Würde seine nichtethnische, planmäßige, neutrale Eigenschaft überhaupt einen Unterschied machen? Über diesen Sachverhalt brauchen wir nicht zu spekulieren. Wir haben empirische Beweise dafür, dass die Wechselwirkung des Esperanto mit anderen Sprachen der des Englischen gleicht! Esperantisten, die ihre Muttersprache mit anderen Esperantisten gleicher Muttersprache sprechen, bereichern diese Sprachen um viele Esperantismen, wie man oft beobachten kann. Die Subkultur der Esperantosprechenden unterscheidet sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht von internationalen Subkulturen, in denen Englisch das verbindende Kommunikationsmedium ist.

Eŭropa Bunto, die Organisation, die die oben erwähnte Straßburger Demonstration veranstaltete, hat einen Appell verbreitet, der folgendermaßen beginnt:

"EUROPA UND SPRACHLICHE RECHTE: Es wird Zeit im Jahre 2004!

Im Jahre 2004 vergrößert sich die EU und gleichzeitig finden auch europäische Wahlen statt. Dennoch, das sprachliche Problem bleibt (weiterhin) ungelöst, wird aber durch eine Pseudovielsprachigkeit versteckt, die nur die drei stärksten Sprachen bevorzugt. Aus diesem Grund riskieren wir in eine sprachliche Hegemonie zu geraten und am Ende in eine Einheitlichkeit, welche die sprachliche und kulturelle Unterschiedlichkeit Europas in Gefahr bringen wird. Darum unterstützen unter anderem die Esperantisten den Vorschlag einer gemeinsamen (und nicht einheitlichen) neutralen Brückensprache, die gleichberechtigt den Respekt aller Sprachen und die Effektivität der Europäischen Demokratie erst ermöglicht."

Einige der von den Anhängern vorgeschlagenen und auf den Internetseiten zitierten Losungen sind:

"Esperanto hat kein Heimatland. Jeder Esperantist hat eins."

"Es lebe meine Sprache…/Ich spreche meine Sprache…/Ich liebe meine Sprache…" gefolgt von "…dank Esperanto/"…unter dem Schutz des Esperanto!"

Wie bei Gados wird hier angedeutet, dass eine "neutrale" gemeinsame Sprache irgendwie nicht die "sprachliche und kulturelle Unterschiedlichkeit ... in Gefahr bringen wird" wie die "starken" Sprachen. Schon wieder fehlt eine glaubwürdige Erklärung. Natürlich hielten die Esperantisten, die die Demonstration organisierten, Esperanto für die ideale gemeinsame Sprache, auch wenn sie es nicht beim Namen nannten. Es ist schwer zu verstehen, warum eine beliebige gemeinsame Sprache – ungeachtet aller Neutralitätsrhetorik – nicht "stark" und genauso ein Ergebnis "sprachlicher Hegemonie" wie das Aufzwingen einer der "drei stärksten Sprachen" wäre.

Es sollte nicht wirklich überraschen, dass die Anhänger der "Kulturvielfalt" keine glaubwürdigen Szenarien einer Anwendung des Esperanto im großen Maßstab erarbeiten. Esperanto ist eine wirkliche Sprache und nicht eine, die magische Qualitäten hat. Es überrascht vielmehr, dass einige Esperantisten sich nicht genieren, die Gutgläubigkeit ihres Publikums zu missbrauchen, indem sie Esperanto als Allheilmittel hinstellen.

Der vorsichtige Ansatz

Einige Anhänger des Esperanto haben sich so sehr in das Argumentieren mit der "Vielfalt" verliebt, dass sie einfach nicht mehr ohne sie auskommen, obwohl sie anscheinend schon begriffen haben, dass Esperanto, wenn es tatsächlich für den weltweiten Gebrauch angenommen würde, andere Sprachen nicht wirklich "vor Schaden bewahren" würde bzw. die "Kulturvielfalt retten" würde. Sie kommen um die Aufstellung haltloser Behauptungen herum, indem sie einfach Lippenbekenntnisse zur Ideologie der "Kulturvielfalt" abgeben, ohne direkt zu behaupten, dass Esperanto der Sache dienlich wäre.

Das Prager Manifest von 1996 kommt wahrscheinlich mehr als jedes andere Dokument einer verbindlichen Erklärung über die politischen Ziele des Esperanto-Weltbundes UEA – der größten Esperanto-Organisation – nahe. Es hat sieben Punkte. Der sechste bezieht sich auf unser Thema:

SPRACHENVIELFALT

Die nationalen Regierungen neigen dazu, die große Sprachenvielfalt in der Welt als ein Hindernis für Kommunikation und Entwicklung anzusehen. Für die Gemeinschaft der Esperantosprechenden ist die Sprachenvielfalt hingegen eine ständige und unverzichtbare Quelle kulturellen Reichtums. Demzufolge ist jede Sprache, wie der Ausdruck jeder Lebensform, schon wertvoll an sich und damit schützens- und unterstützenswert.

Wir behaupten, dass eine Kommunikations- und Entwicklungspolitik, die nicht auf der Anerkennung und Unterstützung jeder Sprache basiert, einen Großteil der Sprachen in der Welt dadurch zum Aussterben verurteilt. Wir sind eine Bewegung für Sprachenvielfalt.

Diese Erklärung wurde von Menschen verfasst, die das Thema des Sprachschutzes unbedingt ansprechen wollten, aber zu vorsichtig waren, um zu behaupten, dass die Einführung des Esperanto den bedrohten Sprachen unmittelbar zugute käme.

Ein Beispiel einer vorsichtigen Behauptung bezüglich des "Vielfaltsschutzes" durch Esperanto kommt von Europa – Demokratie – Esperanto (EDE). EDE ist so etwas wie eine "Esperantopartei". In Frankreich hat sie Kandidaten zur letzten Wahl des Europäischen Parlaments aufgestellt. (Sie hat das auch in Deutschland versucht, bekam aber nicht genug Unterschriften zusammen.) Das Wahlprogramm enthielt einen längeren Abschnitt über die Einführung des Esperanto in der EU, und eine weitere, die "Schutzmaßnahmen" zugunsten ethnischer Minderheiten und des "Schutzes des kulturellen und sprachlichen Erbes" forderte. Diese zwei Abschnitten des Programms waren voneinander losgelöst und standen nebeneinander. Nur an einer Stelle wurden beide Themen zueinander in Verbindung gebracht. In einem Abschnitt über die Vorteile des Esperanto wurde behauptet, dass eine davon der "garantierte Respekt der Vielfalt, und somit auch der kulturellen Besonderheiten Europas" sei.

Zukunftsperspektiven

Es würde mich nicht überraschen, wenn weitere Erklärungen auftauchten, wie die Einführung des Esperanto ethnische Sprachen und Kulturen schützen soll, angesichts der Allgegenwart des ethnisch-identitären Diskurses sowohl innerhalb der esperantosprachigen Gemeinschaft und in den Erzeugnissen seiner Öffentlichkeitsarbeit. Aber ich glaube, dass ich hier die häufigsten Argumentationslinien verzeichnet habe.

Es fällt schwer, die Zukunft der Ideologie vorherzusagen, die Esperanto mit Themen wie "Kulturvielfalt", "Bewahrung ethnischer Identität" usw. verbindet. Wenn Erfahrungen der Vergangenheit vertraut werden können, dann werden Esperantisten sie erst aufgeben, wenn sie in anderen Teilen der Gesellschaft unbeliebt geworden sind. Es gibt Anzeichen, dass das schon geschieht, wenigstens stellenweise und in einigen Milieus. Ideologien wie die oben genannten sind für die europäische Neue Rechte besonders typisch und können am besten als "ethnopluralistisch" bezeichnet werden, um die Bezeichnung zu verwenden, die die Neurechten selbst erdacht haben. Wie derartiges neurechtes Denken von der breiten Öffentlichkeit angenommen wird, das wird den künftigen ideologischen Kurs der Esperantosprechenden beeinflussen. Ihnen kann man durchaus zutrauen, dass sie früher oder später bemerken, aus welcher Richtung der Wind weht.

Genauso bedeutend wird das Ergebnis einer schwelenden Auseinandersetzung innerhalb der Esperanto-Gemeinschaft sein – die sich zwischen Fraktionen entwickelt, die im einen Fall der ursprünglichen Vorstellung treu bleiben, wonach Esperanto zu "siegen" hat, indem es die allgemeine Zweitsprache der Menschheit wird, und im anderen Fall die eine solche Entwicklung für wenig wahrscheinlich halten und Esperanto stattdessen eher als alternativen Lebensstil ansehen.

An dieser Stelle möchte ich ein Wort zu den Motiven sagen, die mich dazu bewegen, diese Kritik an eine Spielart der Esperanto-Ideologie zu schreiben: als Esperantist meine ich, dass das Kollektiv der Esperanto-Anwender die ethnizistische Argumentationspraxis aufgeben sollte, in die sie geraten ist. Einige Esperanto-Anwender könnten dann besser als vorher eine Kritik der sprachlichen Ungleichheit entwickeln, die ja Bestandteil eines umfassenderen Systems sozialer Ungleichheit ist. Sie würden dann vielleicht auch die Nischen suchen, in denen Esperanto wirklich nützlich sein kann – zusammen mit anderen Sprachen – um den Umfang politischer Kommunikation zwischen Menschen verschiedener Sprache, die zu den sprachlich unterprivilegierten Gesellschaftsschichten gehören, zu erhöhen. Außerdem erwecken die Anhänger der "Vielfaltsschutzhypothese" machmal den Eindruck, dass sie für alle Esperantisten sprechen, wogegen ich mich hiermit verwahren will.

[1] "Pour une solution du problème ethnique" in La Monda Lingvo-Problemo, Mouton, Den Haag, Nr. 5, 1970, S. 103-113 [zurück]
[2] "Kia eŭropa politiko por la Esperanto-movado" in Politika hegemonio kaj lingva hegemonio en Eŭropo, Esperanto-Weltbund (UEA), Rotterdam, 1995, S. 4-12 [zurück]
[3] László Gados: Allen Sprachen eine Zukunft – Für kulturelle Vielfalt und gleichberechtigte Verständigung in Europa, Deutsches Esperanto-Institut, Berlin, 2001; dieses Werk ist die deutsche Übersetzung von Brilu ĉiu lingvo samrajte!, Humana Esperanto-Asocio PLU, Zalaegerszeg (Ungarn), 2001, das auch in andere europäische Sprachen übersetzt und herausgegeben wurde [zurück]

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