Max Josef Metzger und Esperanto |
Der folgende Text ist die deutsche Übersetzung eines ursprünglich auf Esperanto in Kontakto (Juni 1971) erschienenen Artikels. Kontakto ist das Organ des Weltbundes der Esperanto-Jugend (TEJO). Der Artikel wurde von dem Historiker Dr. Ulrich Lins verfasst. Er erschien als Teil einer Artikelserie über politisch aktive Esperantisten. Lins ist Autor des Werkes La danĝera lingvo: Studo pri la persekutoj kontraŭ Esperanto (Gerlingen: Bleicher Verlag, 1988), das gleichzeitig auf Esperanto und in deutscher Übersetzung (Die gefährliche Sprache, Gerlingen: Bleicher Verlag, 1988) herausgegeben wurde, das Standardwerk über Verfolgungen des Esperanto und der Esperantisten.
Im Oktober 1921 teilte die Internationale Vereinigung Katholischer Esperantisten (IKUE) »den Esperantisten aller Länder« einen Erfolg mit: Der Bischof der Niederlande hatte seinen »entschiedenen Wunsch« bekräftigt, »dass jegliche Propaganda für IKa und Katolika Mondo unterbleiben möge und jede Beziehung zu Dr. Metzger in Graz abgebrochen werde«.
Opfer der »samideanoj« [ungefähr »Gleichgesinnte«, eine traditionelle Selbstbezeichnung der Esperantisten. Anm. d. Übers.] ist Max Josef Metzger, ein 34-jähriger Priester und Doktor der katholischen Theologie, nach dem Urteil eines seiner Mitarbeiter ein »fähiger und begeisterter Esperantist«, der die Sprache hervorragend beherrscht habe. Der Erste Weltkrieg, an dem Metzger als Divisionspfarrer tielnahm, beeinflusste sein Leben entscheidend: Nach einer Erkrankung nimmt er 1915 eine Berufung nach Graz an, um sich in der damals meist belächelten Anti-Alkohol-Bewegung zu betätigen, einer Form des Protestes gegen die Übel der übersättigten bürgerlichen Gesellschaft. 1916, noch mitten im Krieg, gründet Metzger den Weltfriedensbund vom Weißen Kreuz, der sich für Völkerverständigung und Frieden einsetzt. Ein Jahr später entwirft er ein Zwölf-Punkte-Friedensprogramm, für das er den Segen von Papst Benedikt XV. erhält. Esperanto wird 1918 als internationale Korrespondenzsprache des Bundes angenommen.
Metzger verwirft nicht nur energisch die Lehre vom »gerechten Krieg«, sondern sieht – noch viel eindeutiger als viele seiner Glaubensgenossen – in der Passivität sozialem Elend gegenüber und dem Schweigen über die Schrecken des Krieges eine der Hauptursachen des schlechten Zustands der Kirche. Auf katholischer Grundlage, aber oft gegen den Willen seiner Oberen, die allen Erneuerungstendenzen von unten misstrauen, entschließt er sich zum eigenständigen Handeln für soziale Reformen.
Mit seiner Hilfe entsteht 1920 die Katholische Internationale (IKa), ein Zusammenschluss des Weißen Kreuzes und der vor dem Krieg gegründeten Internationalen Vereinigung Katholischer Esperantisten (IKUE). Daraus soll eine große katholische Organisation werden zur Förderung der Zusammenarbeit auf verschiedenen praktischen Arbeitsgebieten. Metzger ist auch Mitbegründer der Katholischen Weltjugend (MOKa), der Jugendsektion der IKa. Beide Organisationen führen Esperanto ein, und alle Landesdirektoren sind Esperantisten. Metzger selbst wird Direktor des Zentralbüros in Graz. Mehrere katholische Organisationen schließen sich der IKa an. Eine Zeitlang funktioniert eine große Weltorganisation mittels Esperanto. Aber die einmalige Gelegenheit, den praktischen Nutzen der Sprache für katholische Ziele auszuloten, wird gerade durch andere, konservative katholische Esperantisten vereitelt. Als Folge einer Intervention vonseiten der IKUE beginnen kirchliche Amtsstellen, die Arbeit der IKa zu boykottieren. Mit Hilfe von Sympathieerklärungen der Kirchenhierarchie und dem Imprimatur der Kirchenzensur versucht die IKUE ihre Monopolstellung in der katholischen Esperanto-Bewegung wiederzugewinnen. Sie stört sich am Charakter der IKa, die den Friedensgedanken fördert und Esperanto »nur« als Mittel zum Zweck benutzt, und an deren gelegentlicher Missachtung der Normen bürgerlich-moderaten Verhaltens. 1921 bis 1923 ist die Espero Katolika, das Organ der IKUE, von sehr scharfen Angriffen gegen Metzger und die IKa gefüllt, von denen der entlarvendste wohl der ist, die IKa-Aktivisten seien im Gegensatz zu den treuen IKUE-Veteranen überwiegend »Neulinge im Esperantoland«, die vor dem Krieg keine Esperantisten gewesen seien oder noch keine große Rolle gespielt hätten.
Aber Metzger, als Esperantist zweiter Klasse abgestempelt, gibt nicht auf: Nach dem von 1918 bis 1920 erscheinenden Blanka Kruco beginnt er im Mai 1921 mit der Herausgabe einer neuen Esperanto-Zeitschrift, Katolika Mondo, die bald 2000 Abonnenten hat. Er organisiert einen jährlichen IKa-Kongress, richtet in Graz ein Internationales Katholisches Esperanto-Büro ein, und veröffentlicht in seinem Paulus-Verlag um die zwanzig Bücher und Broschüren über oder in Esperanto. Die Tätigkeit der IKa zwischen 1920 und 1925 ist wahrscheinlich die bedeutendste jemals unternommene Bestrebung, Katholiken umfassend über Esperanto zu informieren.
Als erster Deutscher nach dem Krieg hält Metzger auf einem Friedenskongress in Paris einen Vortrag auf Französisch. Er unternimmt Vortragsreisen durch mehrere Länder und macht sich bald einen Namen als führender Vertreter des katholischen Pazifismus. Viel Beachtung findet eine 1928 im Haag gehaltene Rede: »Der Krieg verdankt seine Existenz in der Welt allein dem Vater der Lüge. Nur durch Lüge kann er heute noch ermöglicht werden. Der gierige Mammonismus, der freche Imperialismus, der arrogante Nationalismus und der zynische Machiavellismus – das sind die verlogenen Brüder, die an seiner Wiege standen ...«
Der fromme Priester, hervorragende Redner, ausgezeichnete Organisator, manchmal auch geschickte Kaufmann, eine etwas ungeduldige Persönlichkeit – die Amtsstellen der Kirche sehen in ihm weiterhin einen »Abweichler« oder verleumden ihn in ganz unchristlicher Art und Weise. Am Ende übersiedelt Metzger 1928 wegen der feindseligen Haltung des Bischofs von Graz nach Meitingen in Bayern. Der Pazifismus befindet sich allgemein in einer hoffnungslosen Position gegenüber dem heraufziehenden Sturm des Nationalsozialismus, mit der Folge, dass auch die IKa allmählich an Kraft einbüßt. Außerhalb ihres organisatorischen Rahmens setzen Fachgruppen die Arbeit fort, und die Rolle des Esperanto schwächt sich wegen der Behinderung durch die IKUE ab. Dennoch sind auch zu einem Zeitpunkt, an dem die IKa nur noch eine Studiengruppe für internationale und soziale Fragen ist, ein Drittel der Mitglieder ihres Komitees Esperantisten. Die Katolika Mondo stellt 1928 ihr Erscheinen ein, wird aber – bis 1934 – durch das Organ der MOKa La Juna Batalanto ersetzt, dessen Tendenz »international, pazifistisch, sozial und lebensreformerisch« ist.
Inzwischen widmet Metzger mehr und mehr Zeit einer religiösen Kongregation, der Christkönigsgesellschaft, und später der Bewegung Una Sancta, in der Katholiken und Nichtkatholiken solidarisch zusammenarbeiten. Metzger plädiert für grundlegende Reformen in der Kirche und nimmt dabei vieles von dem vorweg, was Jahrzehnte später das Zweite Vatikanische Konzil verwirklichen sollte. Er schafft eine zeitgemäßere Liturgie, verbreitet populäre Bibeldeutungen, feiert die Messe (bis zum bischöflichen Verbot) mit den Gläubigen von Angesicht zu Angesicht, befürwortet, damals fast ketzerisch, schon 1939 Messtexte in Nationalsprachen und fordert zum Dialog mit den Marxisten auf, den er auf Großveranstaltungen selbst praktiziert.
Kein Wunder, dass viele über seine unorthodoxen Ideen schockiert sind und er Missverständnisse und Verdächtigungen erfährt. Hinzu kommen ab 1933 beleidigende Artikel über ihn in der Nazi-Presse, das Bespitzeln seiner Predigten, eine mehrtägige Verhaftung wegen eines Friedensaufrufs. 1935 wird eine von Metzger herausgegebene Zeitschrift wegen eines Gebetes »für alle Juden, für alle Kommunisten, für alle, die verfolgt werden« konfisziert. Im November 1939 wird er erneut verhaftet, angeblich wegen Verwicklung in ein Attentat gegen Hitler; während der einmonatigen Haft bittet er den Papst, ein Sekretariat für die Einheit aller Christen einzurichten – eine weitere inzwischen verwirklichte weitsichtige Initiative.
Ab 1940 arbeitet Metzger in Berlin. Sein einstiger österreichischer Mitarbeiter Walter Mudrak bemerkt 1942 anlässlich eines Besuchs, dass Metzger sich trotz einer Vielzahl von Aufgaben weiterhin für Esperanto interessiert – eine im Dritten Reich schon verbannte Sprache. Im selben Jahr erstellt Metzger eine Denkschrift über die deutsche Nachkriegsordnung für den evangelischen Bischof von Uppsala, der die Alliierten um erträgliche Friedensbedingungen bitten soll. Der Plan wird aber von einem Mitglied von Una Sancta an die Gestapo verraten, die den widerspenstigen Priester Ende Juni 1943 verhaftet. In einem großen Schauprozess vor dem so genannten Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des Nazi-Mörders in Richterrobe Roland Freisler wird Metzger wegen »Defätismus« zum Tode verurteilt, ohne Möglichkeit zu haben, die Motive seines Handelns zu erläutern. Und noch zu dem Zeitpunkt distanziert sich die Amtskirche von ihm: der Erzbischof von Freiburg, Conrad Gröber, der Metzger früher gegen Verfolgung durch die Nazis geschützt hatte, nennt den Angeklagten in einem Brief an den Rechtsanwalt zunächst einen »in den Wolken schwebenden Schwärmer«, schwört dieser Charakterisierung aber zwei Tage nach dem Urteilsspruch in einem Brief an Freisler ausdrücklich ab und beschuldigt Metzger einer »verbrecherischen Tätigkeit«, die mit Idealismus in keiner Weise zu rechtfertigen sei.
Ohne davon zu wissen, behält Metzger seine geistige Fassung und notiert einen Monat nach seiner Verurteilung, dass es »keine Schande, sondern eine Ehre« sei, »von einem solchen Gericht als 'ehrlos' bezeichnet zu werden«. Am 17. April 1944 wird er enthauptet.
Heute werden viele Ideen, deren Vorkämpfer Metzger war, vom fortschrittlichen Katholizismus allgemein akzeptiert: der Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit, die Liturgiereform, Diskussionen mit Atheisten, die Annäherung zwischen der katholischen und anderen christlichen Kirchen. An seinem 25. Todestag bezeichneten ihn hohe Vertreter der katholischen Hierarchie als einen »Avangardisten im besten Sinne des Wortes«. Dreimal wurde eine Sammlung seiner Gefängnisbriefe herausgegeben; in beiden deutschen Staaten erschienen Biographien dieses Friedensmärtyrers.
Spät erfüllte sich der Wunsch, den Metzger in der Todeszelle formuliert hatte: »Spätere Zeiten werden mich besser verstehen – weil es immer mein Schicksal war, dass ich der Zeit voraus war und deshalb nicht verstanden werden konnte.«
Ulrich Lins
(dt. Übers. v. Gary Mickle)
Nachträgliche Anmerkung des Übersetzers: Auf Antrag des katholischen Erzbistums Berlin wurde 1997 das Todesurteil des »Volksgerichtshofes« gegen Max Josef Metzger vom Berliner Landgericht aufgehoben.
Ĝisdatigo de 2016-12-06.